Interview mit Ex-LR Platter (seit 2008 Landeshauptmann von Tirol)
www.musikland-tirol.at
Redaktion: Dr. Manfred Schneider
Institut für Tiroler Musikforschung
Rumer Str. 51d
A 6063 Innsbruck/Post Rum
Tel. und Fax 0043/512/263419
Innsbruck, 6. Jänner 2002
S.g. Herrn Landesrat Günther Platter
Landhaus
6020 Innsbruck
Sehr geehrter Herr Landesrat!
Wir bearbeiten derzeit intensiv das Internetprojekt Musikland Tirol. Dieses innovative Unternehmen geschieht in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Nordtirol, Südtirol und dem Trentino. Projektleiter ist Dr. Manfred Schneider. Derzeit liegt der Schwerpunkt der Tätigkeiten noch in Nordtirol. Das Konzept beinhaltet einen mehr historisch ausgerichteten Komplex und einen umfassenden Informationsteil, der ausschließlich der Gegenwart und der Zukunft gewidmet sein soll. Während der historische Teil schon einiges an Konturen gewonnen hat, ist der aktuelle Abschnitt erst im Aufbau begriffen. Vorerst soll dieser umfassende und in seiner Intention völlig neuartige Komplex vor allem Interviews mit kulturell relevanten Persönlichkeiten enthalten, die in Summe das gegenwärtige Musikland Tirol in vielschichtiger Weise prägen.
Ich bitte Sie daher, mir bei möglichst nächster Gelegenheit die Möglichkeit zu geben, über dieses Thema mit Ihnen zu sprechen. Das Interview mit einer Dauer von ca. 60 bis 90 Minuten wird im Internet veröffentlicht. Inhalt des Gesprächs sind allgemeine Themen zur Bedeutung der Kultur in der modernen Gesellschaft, die Musikförderung des Landes Tirol und speziell der Stellenwert der Tiroler Musiktradition und ihr gegenwärtiger und künftiger Status.
Mit besten Grüßen
Dr. Manfred Schneider
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Innsbruck, 21. Jänner 2002
S.g. Herrn Landesrat Günther Platter
Landhaus
6020 Innsbruck
Betr.: Interview für das Internetprojekt Musikland Tirol (siehe Schreiben vom 6.1.2002)
Sehr geehrter Herr Landesrat!
Ich hatte Sie unlängst für unser Internetprojekt Musikland Tirol schriftlich um einen Interviewtermin gebeten. Aus Ihrem Amt wurde mir anfangs der letzten Woche mitgeteilt, dass ich Ihnen meine Fragen schriftlich vorlegen sollte. Nun scheint mir das zwar kein richtiges Interview mehr zu sein, aber der Intention, von berufenem Munde eine Stellungnahme zum Musikleben in Tirol in dokumentarischer Qualität zu erhalten, kann so durchaus auch Genüge getan werden. Ich habe Ihnen anbei einige Seiten mit Fragestellungen beigelegt, wie sie mir wichtig sind und aktuell erscheinen; ich bitte Sie darum von Herzen um eine aufrichtige Beurteilung.
Mit besten Grüßen
Dr. Manfred Schneider
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Interview
Sehr geehrter Herr Landesrat!
Ich denke, wir können darin übereinstimmen, dass Kultur essentiell zum Menschsein gehört.
Nun ist der Begriff Kultur allgemein sehr weit gefasst und umgreift nahezu alles, was der Mensch produktiv in die Welt gebracht hat. In unserem Gespräch wollen wir diesen Begriff in einer begrenzteren Bedeutung als Umschreibung der Künste wie Musik, Literatur und Bildende Kunst gebrauchen. Man kann wohl feststellen, dass die Künste den Menschen so sehr auszeichnen, dass er die Schöpfung mitbestimmen kann. Den Genies gelingen Werke von absoluter und damit von der Zeit losgelöster Qualität. Müsste dieses Schicksalsgeschenk Kunst ganz allgemein nicht wesentlich stärker geschützt und gestärkt werden?
Tirol ist ein Land in den Bergen; ich will damit sagen, dass Menschen in einer Gegend, die klimatisch nicht gerade begünstigt ist und die einen großen Anteil an Brachland aufweist, prinzipiell andere Sorgen haben. Wieviel kann Tirol finanziell für die mitunter als unnötigen Luxus empfundenen Künste beitragen?
Ich denke, dass dieser, ich will einmal sagen Überlebenskampf die Einstellung der Tiroler Bevölkerung zur Kultur wesentlich geprägt hat. Aus meiner Erfahrung anhand zahlreicher Feldforschungen in nahezu allen Landesteilen kann ich feststellen, dass die Tiroler Mentalität, wenn ich das bei der Buntheit unseres Menschenschlags so uniform formulieren darf, prinzipiell eine große Affinität zu kreativem Handeln hat, was nicht zuletzt mit den vielfach hart errungenen Lebenstandards zu tun haben mag; jedenfalls gab und gibt es in Tirol sehr viele Talente.
Es ist überhaupt ein Faktum. Wenn man z.B. die territoriale Kleinheit Österreichs in ein Verhältnis stellt zu dem, was dieses Land der Welt an zeitlosen kulturellen Werten geschenkt hat, so kann man, wie das der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl formuliert hat, von einer kulturellen Großmacht sprechen. Ich erwähne das darum, weil diese Tatsache im Bundesbudget keinen erkennbaren Ausdruck findet. Österreichs Rang in der Welt bestimmt sich nahezu ausschließlich aus seiner Kunstvergangenheit, von der vieles noch in die Gegenwart herüberreicht. Daraus leitet sich aber auch eine eminente Verantwortung ab mit entsprechendem Handlungsbedarf. Im Bereich der Kultur müsste doch einer der Budgetschwerpunkte liegen.
Um wieder zurück nach Tirol zu kommen: Über Jahrzehnte galt in der hiesigen Kulturpolitik die Devise, Kultur in möglichst bunter Vielfalt zu ermöglichen. Nun ist diese Philosophie an sich nach außen hin nicht unattraktiv, weil zulassen allemal positiver klingt als verhindern, aber wird im ungeschränkten Zulassen nicht unweigerlichlich auch vieles verhindert?
Faktum ist, dass wir gegenwärtig in Tirol eine überaus vielfältige Kulturwelt haben, die aber in ihrer schillernden Buntheit kaum Hervorstechendes erkennen lässt. Vielmehr gleicht alles einem großen Garten, der weitgehend der Natur überlassen ist. Es fehlt die Hand des pflegenden Gärtners.
Um beim Bild des Gartens zu bleiben. Ein Gärtner begreift Kultur in der Unterscheidung von Kulturpflanzen und Unkraut. Nun kann auch das Unkraut schöne Blüten hervorbringen, aber der Sinn liegt doch eindeutig in der Pflege und Förderung dessen, was der Gärtner selbst als Pflanze ausgesetzt hat. Nun scheint mir in Tirol ein solches kulturelles Heimgärtlein nicht zu existieren, sondern alles wächst, je nach Wetterlage, wild drauf los, wobei vielfach nicht einmal der Versuch unternommen wird - um beim Bild zu bleiben - selbst ein Pflänzlein zu setzen.
Ich meine, ich finde es schade, dass von offizieller Stelle nahezu kein Kulturwunsch geäußert wird. Vom Land kommen zwar enorme Beträge an Steuergeldern und ich denke, ein Unternehmer müsste doch eine Vorstellung haben, was er mit seinem Geld machen will. Die Sache läuft aber doch meistens so ab, dass eine mehr oder weniger gute Idee von den Medien so hochgejubelt wird, dass sich die kulturell Verantwortlichen zumeist gezwungen fühlen, diesem öffentlichen Druck statt zu geben. Wäre hier nicht mehr Standvermögen, ich würde sogar sagen Charisma, am Platz?
Offenkundig ist, dass alle wesentlichen Aktivitäten der letzten Jahre hauptsächlich von den Medien gemacht wurden und auch weiterhin verteidigt werden. Man vergisst dabei sehr oft, dass hinter diesen Meinungen zumeist die Ansicht eines einzelnen Redakteurs steht, die durch das Medium verabsolutiert erscheint. Diese Meinung ist zumeist selten die Meinung der Mehrheit und vielfach folglich auch so zu bewerten. Ich denke hier an viele heilige Kulturkühe im Lande, die kaum inhaltlich überleben würden, wenn sie nicht engagiert und geschickt über die Medien agieren würden. Fehlt hier nicht etwas der Durchblick und sind nicht viele Ihrer Beamten vielleicht zu sorglos, sich in eine solche zugegebenermaßen heikle Diskussion einzulassen?
Jedenfalls wird eine künftig verantwortungsvolle und nur so erfolgreiche Kulturpolitik mehr an Ideen und Handeln brauchen, als der an sich äußerst gemütliche zum Zurücklehnen verleitende Grundsatz, Kultur möglich zu machen, es auszudrücken vermag. Was die Kulturpolitik im Lande vor allem braucht, ist ein wirkliches Konzept. Wäre es nicht denkbar auf breiterer Basis in konsequenten Gesprächen ein Informationsforum für den Kulturlandesrat zu schaffen. Ich kann mich errinnern, dass Dr. Fritz Prior einen Kulturstammtisch initiiert hatte, um sich auf dem Laufenden zu halten. Ich finde das eine gute Idee.
Es wäre wohl auch an der Zeit, eine größere Versammlung, nennen wir es einmal Kulturkonzil einzuberufen, um der Kulturpolitik des Landes jene Ausrichtung zu geben, die von der Basis, ich meine damit vor allem die zahlreichen kulturellen Einzelkämpfer, mitgetragen werden kann.
Es gibt in Tirol eine Vielzahl kreativer Menschen, die man befragen könnte. Meine Erfahrung ist jedoch, dass in der Vergangenheit nicht einmal das vom Gesetz vorgesehene Beratungsorgan, der sog. Landeskulturbeirat, in effizienter Weise genutzt wurde. Soweit ich mich erinnere, ging es in diesem Beratungsgremium vorwiegend um Preisverleihungen und sonstige Ehrungen, während bei kulturell substanziellen Fragen die einsamen Entscheidungen dominierten.
Wir leben in einer, wie so schön formuliert wird, entwickelten Demokratie. Aber gerade im Kulturbereich mit seinem kreativ hochwertigen Potenzial müsste mit der Intention von Demokratie wesentlich sensibler umgegangen werden. Faktum ist jedoch, dass demokratische Willensbildung vielfach ausgeschlossen erscheint. Mit der Devise einer großen Offenheit im Ermöglichen kultureller Aktivitäten wird dem Prinzip Demokratie nur vordergründig Genüge getan, während in der Substanz die jeweiligen Entscheidungen autoritär und unter Berufung auf eine nicht einlösbare Verantwortlichkeit bestimmt sind. Hier ließe sich doch einiges verbessern.
Nun ist der sg. Beamtenapparat eigentlich eine von den Bürgern bezahlte Serviceinstitution für Hilfesuchende und hat so an sich eine weitgehend dienende Funktion. Die Praxis sieht jedoch vielfach so aus, dass die einzelnen Referenten als direkte Berater des Politikers a priori aus dieser Situation heraus eine derartige, ich würde sagen Machtposition erreichen, die je nach den menschlichen Qualitäten des jeweiligen Sachbearbeiters der Sache nützt, ihr aber auch schaden kann. Sollten wichtige Grundzüge in der Organisation der Kulturpolitik darum nicht auf wesentlich breiterer Basis diskutiert werden, bevor weitreichende und gültige Entscheidungen getroffen werden?
Um kurz bei den Beamten zu bleiben; Ihre Hauptaufgabe ist doch Beratung und die Durchführung der Administration. Wie mir scheint, werden aber viel zu viele wichtige Entscheidungen schon auf dieser Ebene vorweggenommen. Dies ist aus dem Nahe- und Vertrauensverhältnis zum jeweiligen Politiker durchaus verständlich. Ich will nicht sagen, dass unsere Kulturbeamten nicht integer sind und man ihnen nicht vertrauen darf, nein, es geht um das Prinzip von Administration. Meiner Erfahrung nach haben viele Beamte zu viel an Entscheidungskompetenz, die aufgrund ihres Status eigentlich eine Anmaßung ist.
In diesem Zusammenhang: Denken Sie, dass es vernüftig ist, wenn Kulturbeamte in Vereinen und sonstigen Körperschaften Vorstandspositionen einnehmen? Ich verstehe die Vereine gut, wenn sie versuchen, auf diesem Weg sicherer zu erhöhten Subventionen zu gelangen, aber ist das eine gute Optik?
Nun will ich die Kulturbeamten nicht weiter vergrämen, weil trotz aller guten Vorsätze auch ich weiterhin bei vielen meiner Aktivitäten von ihrem Wohlwollen abhängig sein werde. Wenn man das Tiroler Kulturbudget prozentuell am Gesamthaushalt etwa mit jenem des Bundes vergleicht, kann man nicht leugnen, dass sich Tirol auf diesem Sektor etwas leistet.
Aber auch das Kulturbudget hat seine natürlichen Grenzen. Wenn man die Kulturszene so beobachtet, wird Jahr für Jahr alles vielfältiger, und zur Mehrzahl der Subventionsanträge kommen die erhöhten Ansuchen der eingesessenen Veranstalter und die ohnehin hohen Fixkosten, so dass man als verantwortlicher Kulturpolitiker vielleicht in manchen stillen Stunden - sofern es die gibt - direkt Angst bekommen könnte.
Wenn das Kulturbudget mit den Aufwendungen für Kulturinstitutionen und den vermehrten Ansuchen von Veranstaltern nicht mehr Schritt halten kann, eröffnen sich vor allem zwei Wege: Einsparen und Lukrieren von Geldmitteln auf höherer Ebene, ich denke dabei an den Bund und natürlich auch an die EU.
Was das Erschließen von zusätzlichen Geldquellen betrifft, so schaut es derzeit doch so aus, dass sich meines Wissens nach jeder Veranstalter je nach Einfluss und Geschick selbst darum bemühen muss, von der EU oder vom Bund Geld zu bekommen. Nun gehört das findige Auftreiben von Subventionen zum Handwerk eines jeden guten Veranstalters, aber für viele sind die zahlreichen bürokratischen Hindernisse doch ein abschreckender Aufwand. Wäre hier nicht mehr die Kulturabteilung gefordert?
Ich denke, es könnten von der Abteilung Projekte, die ihr bekannt gemacht werden, effizienter bei der EU und beim Bund eingereicht werden. Eine andere Möglichkeit wäre überhaupt eine fixe Quote an Bundesmitteln für die jeweiligen Länder zu erreichen, während bei der EU das Land von sich aus attraktive Projekte vermitteln könnte, die von überregionaler Relevanz sind. Jedenfalls tut sich der Einzelne derzeit oft noch schwer und eine gemeinsame Strategie wäre sicher wirkungsvoller an vorhandene Gelder zu gelangen, die sonst andere verbrauchen.
Unabdingbare Voraussetzung für solche Unternehmungen scheint mir dabei eine aktivere Rolle des Landes in der Strukturierung seiner Kulturpolitik zu sein. Bislang schaut die Praxis, verkürzt dargestellt, zumeist so aus, dass der jeweilige Veranstalter ein Ansuchen stellt, das dann entweder genehmigt, zurechtgestutzt oder abgelehnt wird. In den wenigsten Fällen wird das Land von sich aus tätig, z.B mit speziellen Anfoderungen an die vielen Kulturmacher. Kompositionsaufträge, diverse Stipendien und Kunstankäufe genügen sicher nicht, um die vielfach ausufernde und kaum mehr überschaubare Kulturszene des Landes zu ordnen.
Zwar ist der Begriff Kultur gewissermaßen mit dem Begriff Freiheit eine Ehe eingegangen. Freiheit in der Kultur wird aber viel zu oft mit einem Freibrief verwechselt, der alles erlaubt und dem alles möglich ist. Ich will damit sagen, dass bei näherer Betrachtung nicht alles, was mit dem Mäntelchen der Kultur einherschreitet, für die kulturelle Identität des Landes so relevant ist, dass es unbedingt gefördert werden muss. Es gibt im Kulturbereich Tirols so manches Einsparungsspotential und, um zum ursprünglichen Vergleich mit einem Garten zurückzukommen, scheint es wohl wieder einmal Zeit zu sein, Überwucherungen zurecht zu stutzen.
Dennoch gibt es viele Parallelstrukturen in allen Bereichen der Kultur. Wenn ich an die Bildende Kunst denke; wir leisten uns allein im Bereich der sog. Moderne neben der Landesgalerie, eine von nur wenigen geliebte Kunsthalle, den Traum eines Hauses der Kunst, die Moderne Galerie im Ferdinandeum und eine Vielzahl von diversen Aktivitäten im Ausstellungsbereich bis in die entferntesten Bezirke, und man muss gewiss kein Polemiker sein, wenn man fragt, wo eigentlich die vielen überregional bedeutsamen Tiroler Künstler sind, die diesen Raum- und Aktivitätenluxus mit bedeutsamen Werken zu füllen vermögen. Wäre hier dem Wesen von Kunst, wo allein das Qualitätskriterium zählt, durch Konzentration aller Mittel nicht mehr gedient? Das setzt allerdings den Aufwand von Denken und Planung voraus.
Weiters hat das kleine Tirol Raum für gleich mehrere Musikfestspiele: Es gibt um nur die markanteren und bestdotierten Beispiele anzuführen, die Festwochen der Alten Musik in Innsbruck, die Tiroler Festspiele in Erl und die Klangspuren in Schwaz. Der Begriff Festspiel intendiert künstlerische Höchstleistung sowohl programmatisch als auch organisatorisch mit entsprechend finanziellem Aufwand. Glauben Sie, dass unsere Tiroler Festivals im internationalen Vergleich gesehen und dies ist heute einfach nötig, das Attribut Festspiel wirklich verdienen?
Man muss sich ja wirklich fragen, ob Festspiel oder in moderner Diktion Festival noch ein elitärer Begriff ist Ich darf Ihnen meine private Meinung sagen. Oft denke ich mir, groß, wie sie in den lokalen Medien mitunter genannt werden, sind die Tiroler Festivals vor allem als Subventionsempfänger. Vielleicht bin ich ein Miesmacher, aber wirkliche Festivals sind international bedeutsame Kulturereignisse von Rang, wie etwa die Salzburger und Bregenzer Festspiele, oder die Aktivitäten für neue Musik, wie sie z.B in Donaueschingen, Graz oder München schon seit Jahrzehnten stattfinden und markante Spuren in die Zukunft gezogen haben. Das diesbezügliche Münchner Festival nennt sich übrigens seit vielen Jahren auch Klangspuren.
Ich denke, auch der Begriff international ist hierzulande maßlos überbewertet, und man hat noch lange kein internationales Festival, nur weil die Künstler von auswärts kommen. Ich glaube kaum, dass die Tiroler Festivals über den Leserzirkel der Tiroler Tageszeitung hinaus besonders nachhaltige Bedeutung haben, wie ja auch Umfragen aus letzter Zeit beweisen. Dies gilt natürlich auch für die vielgepriesenen Festwochen der Alten Musik. Bei nähererer und vorurteilsfreier Betrachtung muss man doch feststellen, dass hier von einem wirklich begeisternden Anfang und den folgenden Jahren mit großer Ausstrahlung und innovativer Kraft, nicht mehr viel an Typischem, das allemal die Seele eines wirklichen Festivals ausmacht, übrig geblieben ist.
Ich bin mir sicher, dass in der jetzigen Konstruktion die Innsbrucker Festwochen kulturell auf längere Sicht keine wirkliche Zukunft haben werden. Kunst lebt wesentlich von Konkurrenz. Konkurrenz ist vielfach der kreative Motor, das gilt im Großen, wie im Kleinen. Nun ist Konkurrenz bei den Innsbrucker Festwochen schon allein darum ausgeschlossen, weil es keinen wirklichen Intendanten gibt. Die Realität schaut vielmehr so aus, das das komplette Programm von einem einzigen, zugegeben potenten Künstler und dessen Agentur bestimmt wird. Hier liegt der Fehler nicht in der Person, sondern in der Organisation. Ein Festival von einer solchen Intention braucht einen neutralen Intendanten, der versucht, die jeweils Besten der Welt nach Innsbruck zu holen.
Es ist doch eine Tatsache, dass es in Rahmen der Innsbrucker Festwochen, bevorzugt bei den Opernaufführungen, aber auch bei vielen Konzerten, fast nur mehr sog. Übernahmen gibt. Das hat natürlich wesentlich auch mit der Vielbeschäftigung von Dirigenten und Musikern zu tun und in diesem Zusammenhang mit der Bewertung ihrer Innsbrucker Tätigkeit, schlussendlich wieder im Fehlen von Konkurrenz. Diese für ein Festival an sich üble Praxis der Übernahmen wird argumentativ legitimiert mit den Vorteilen einer Partnerschaft, vor allem den damit verbundenen Einsparungen. Bei nüchtener Betrachtung sind diese Übernahmen jedoch das Ergebniss von Sachzwängen, und es stellt sich die Frage, ob für nachrangige Reprisen ein derartiger Subventionsaufwand gerechtfertigt ist.
Das kann jedoch kein zukunftsträchtiger Weg für ein Festival sein. Festspiele, die sich international behaupten wollen, und das muss in Anbetracht der hohen finanziellen Zuwendungen eine Prämisse sein, leben von Premieren, von denen vielfältige und nachhaltige Impulse ausgehen können.
Ein Ausweg aus dieser Sackgasse, in die der immer stärker globalisierte und wie in einem Megastore verfügbare Kulturbetrieb zusehends hineintriftet, könnte doch zumindest im Versuch einer Gegensteuerung etwa in der Nutzung des Zeitfaktors angestrebt werden. Ich denke mir das so, dass nicht alle sog. Festivals jährlich stattfinden müssten, sondern dass es gewissermaßen einen olympischen Zyklus in der Abfolge der Festwochen der Alten Musik, der Klangspuren, der Erler Festspiele und wohl auch eines Festivals der Tiroler Musik geben könnte. So ließen sich die beiden Hauptprobleme, die Finanzierung und der enorme Zeitdruck, die sich natürlich auf die Programmgestaltung auswirken müssen, wohl besser in den Griff bekommen.
Ich weiss, dass Kontinuität ein Argument dagegen ist, aber es gibt auch eine zeitlich größer dimensionierte Form von Kontinuität, und bei allem subjektiven Engagement muss doch die Qualität den Primat erhalten. Ich sehe die Zukunft der Kunst sehr in Gefahr, wenn der Qualitätsmaßstab nicht die höchste Norm bedeuten sollte, und manchmal könnte man glauben, dass in der gegenwärtigen systemimmanenten Verwirrtheit mit vielen lieblosen und beiläufigen Aktionen sogar diese Prämisse hinterfragt wird - ich denke hier besonders an Klassische Musik. Ist nicht vielleicht der Beethoven-Wahnsinn von Erl ein besonders beredtes Beispiel hierfür, mit welcher überheblichen Beiläufigkeit man heutzutage mit Meisterwerken umgeht: Eine Darbietung aller neun Beethoven-Sinfonien in nahezu unmittelbarer zeitlicher Aufeinanderfolge, gewissermaßen in einer Box vereint.
Wir haben die Festspiele in Erl erwähnt. Der Initiator, Intendant und nahezu ausschließliche Dirigent der Erler Festspiele Gustav Kuhn ist sicherlich eine international erfolgreiche Kapazität, aber was hat Tirol eigentlich substanziell davon, wenn man ihm gewissermaßen am Rande des Landes private Festspiele ermöglicht?
Nun werde ich den Eindruck nicht los, dass nicht so sehr die wunderbaren akustischen Bedingungen des Erler Passionsspielhauses der wirkliche Grund für Kuhns Aktivitäten in Tirol sind, sondern ich will einmal unterstellen, dass es ihm nicht gefällt, dass er in Bayreuth bei den Wagner-Festspielen immer noch nicht zum Zug gekommen ist und es Bayreuth mit seinem Erler Ring zeigen will.
Nun hat man sich einmal ein Trojanisches Pferd mehr oder weniger auch von den Medien aufzwingen lassen. Es ist gegen die Aufführung von Opern Richard Wagners auch in Tirol im Prinzip natürlich nichts zu sagen, und ganz allgemein gilt die Feststellung, dass es gar nie genug an kulturellen Aktivitäten geben kann. Aber in Anbetracht der selbstverständlich beschränkten Mittel, müsste man sich doch vorher eine längerfristigere Strategie der Finanzierung überlegen. Ein Festspiel von dieser Größenordung wird doch einen jährlich steigenden Finanzbedarf einfordern und was geschieht mit allen anderen?
Man kann sich auch hier nicht des Eindrucks erwehren, dass hinter dieser Förderungspraxis jegliches Konzept einer größer dimensionierten Gesamtplanung der Kulturaktivitäten Tirols fehlt. Die Betreiber von Erl waren klug genug, viele Ressourcen zumal in Small-talk-Situationen und geschicktem Networking zu nutzen. Gefolgt ist dieser selbstverständlich erlaubten Strategie ein natürlich vielfach populistisch ausgerichtetes Programm. Um die Leute zumindest in den Anfängen bei der Stange zu halten - denn es wird ja leider nahezu alles an den Einschaltquoten gemessen - hat man aus der reichen Palette der Klassik besonders attraktive Ohrwürmer wie das Requiem von Verdi (auf besonderen Wunsch des Publikums mit Wiederholung im folgenden Jahr) oder jenes nicht minder populäre Requiem von Mozart ausgewählt. Dieser erfolgreiche Weg wird mit Orffs Carmina Burana heuer konsequent fortgesetzt. Nun sind diese Strategien verständlich, aber darum auch durchschaubar, und es ist wirklich interessant, von Landesseite zu erfahren, wie die naturgemäss immer massiver eingeforderten, aber auch höheren Subventions-zuwendungen aufgebracht werden können, ohne den anderen Veranstaltern etwas wegnehmen zu müssen.
Von den Kulturbeamten wird zumeist argumentiert, dass die genehmigten Subventionen an sich fixe Konstanten sind, auf die man sich verlassen könnte, weil sie - einmal genehmigt - auch künftig in der Regel in gleicher oder ähnlicher Höhe zu erwarten sind. Für neue Ideen und Projekte bleibt da aber wenig Raum.
Die Zuteilung der Subventionen wird derzeit vielfach so gehandhabt, dass es substantiell kaum um Inhalte geht, sondern lediglich darum, ob ein Ansuchen um 10% oder 20% gekürzt werden soll. So erhebt sich ja wirklich die Frage, ob das nicht auch die Computer alleine zu bewerkstelligen vermöchten, und man mit dem damit ersparten Geld wiederum die Subventionen in voller Höhe auszahlen könnte.
Ich habe mich darum etwas vehement gegen die Festspiele in Erl gewandt, obwohl ich die dort aufgeführte Musik an sich ebenso wie den Dirigenten Gustav Kuhn sehr schätze, weil die geschickte Strategie dieser Tiroler Festspielinszenierung eigentlich erst zu der vorhin zitierten Kürzungspraxis geführt hat.
Im übrigen könnte man durchaus auch die heutige Funktion der schon lange eingesessenen Institutionen überdenken. Die Zeit ist nicht stehen geblieben und viele Erwartungen haben sich gewandelt. Das Musiktheater und das Orchester hatten vor allem im 19. Jahrhundert ja wirklich fundamentale Aufgaben in der Vermittlung und Bewahrung der Meisterwerke der Musik. Diese elementare Funktion ist heute nicht mehr in jenem Maße gegeben, und beide Institutionen sind mehr museale Betriebe. Ich denke, wir stimmen dennoch überein, dass beide Betriebe für Tirols Kultur weiterhin wichtig sind. Der besondere Stellenwert kommt ja auch dadurch zum Ausdruck, dass das Land Tirol sowohl für das Landestheater als auch für sein Symphonieorchester beträchtliche Mittel ausgibt. Das Landestheater ist ja überhaupt der mit Abstand bestdotierte Subventionsbetrieb Tirols.
Nun gibt es aber auch hier, wie mir scheint, enormen Reformbedarf, und es muss durchaus erlaubt sein, darüber zu sprechen. Welchen Stellenwert hat überhaupt ein
Landestheater in der jetzigen Form in einer modernen Gesellschaft?
Ich bin natürlich auch Ihrer Meinung, dass die Meisterwerke der Kunst eine kontinuierliche Pflege brauchen und dass ihre ständige Vermittlung auf möglichst bestem Niveau vermutlich keiner weiteren Rechtfertigung bedarf, doch ist es durchaus angebracht, zu hinterfragen, ob dies nur mit den herkömmlichen gewohnten Mitteln geschehen kann.
Ich denke, dass das Landestheater in der jetzigen Organisationsform etwas antiquiert wirkt und vor allem viel zu teuer ist. Es wird auch hier oft mit Besucherzahlen und hochprozentiger Platzausnutzung argumentiert. Ich denke aber, dass das gerade im Kulturbereich nicht der wesentliche Wertmaßstab sein dürfte, und dass man sich vor allem hier solche Methoden einer Evaluierung auch aus strategischen Gründen eher fernhalten sollte. Aber wenn man schon Zahlen für die Bewertung seines Stellenwerts im Tiroler Kulturgeschehen ins Kalkül zieht, so sind sie diese doch in diesem Fall von relativem Wert. Ein Haus wie das Landestheater lebt ja vor allem von seinen Abonnenten.
Das trifft natürlich auch auf die Symphoniekonzerte zu und wohl auch auf die Amraser Schlosskonzerte. Besonders die Veranstalter der Ambraser Schlosskonzerte brüsten sich gerne mit ausverkauft, ohne dass dabei in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, dass den Großteil der Besucher bei allen diesen Veranstaltungen die doch stattliche Anzahl der Freunde der Ambraser Schlosskonzerte ausmacht. Kurz, dass es fast immer die vierhundert gleichen Leute sind. Dagegen ist ja nichts zu sagen, sondern im Gegenteil wird damit erwiesen, dass diese Zahlen überbewertet sind und natürlich keine Aufschlüsse über die kulturelle Qualität geben. Dennoch werden sie sehr ernst genommen.
Man sollte solche Zahlen wirklich nur in jenem Zusammenhang ernst nehmen, dass hier für einen mehr oder weniger geschlossenen Besucherkreis eine ganz stattliche Subvention nötig ist. Die einzelne Eintrittkarte kommt dem Land ja ganz schön teuer.
In diesem Zusammenhang wundert es mich immer, wenn ich in die Kulturabteilung des Landes komme, dass von Sekretärinnen im Auftrag der Beamten eifrig Rezensionen aus verschiedenen Zeitungen ausgeschnitten und zu Zwecken der Dokumentation gesammelt werden. Ich bin immer wieder erstaunt, welcher Stellenwert den einzelnen in der Regel natürlich höchst subjektiv und mitunter auch nach Laune und Vorliebe urteilenden Kritikern beigemessen wird. Sie erhalten damit eine zentrale Position der Bewertung kultureller Aktivitäten, die ihnen keinesfalls zukommen dürfte, denn so entscheidet eine gute oder schlechte Rezension nicht unwesentlich über Gedeih oder Verderben einer Kulturaktion. Denken Sie nicht, dass es zweckmäßiger wäre, wenn sich die Kulturbeamten selbst viel öfter ein Bild der wirklichen Sachlage machen sollten?
Ich kann wieder nur aus meiner Erfahrung berichten, dass ich im vergangenen Jahr fünf große Projekte mit jeweils mehreren Konzerten veranstaltet habe und dabei niemals einen Kulturbeamten gesehen habe. Ich denke, man kann das auch als ein großes Maß an Vertrauen auslegen.
Um zum Landestheater zurückzukehren. Wäre es vielleicht nicht effizienter, diese Institution mit einem Stagionebetrieb zu führen. Eine Organisationsform, die im sozial eher kalten 18. Jahrhundert und vielfach auch im 19. Jahrhundert funktioniert hat, müsste doch auch im begüterten und so kulturfreundlichen gegenwärtigen Tirol möglich sein.
Ich weiss, hier ist das Argument des Kulturpopulismus nicht zu umgehen und natürlich müsste eine private Gesellschaft ein Programm gestalten, von dem sie zumindest weitgehend leben kann. Aber es leben ja mehrere private Veranstalter in Tirol in sehr guten Verhältnissen, wenn ich an den Innsbrucker Tanzsommer denke, oder auch an die Haller Galerie St. Barbara.
Stationebetrieb heisst ja nicht, dass keine Subventionen von Seiten des Landes mehr notwendig sind, aber ich bin sicher, dass eine solche Betriebsform wesentlich billiger wäre und auch künstlerisch attraktiver sein könnte. Die Menschen lieben nun einmal die Abwechslung, und die Flexibilität in der Hereinnahme unterschiedlichster Produktionen ist natürlich weit größer, wie bei einem Ensembletheater mit fix angestellten Künstlern.
Es ist klar, dass eine kurzfristige Änderung der Organisationsform aus verschiedenen Gründen nicht möglich sein wird. Vor allem sind es ja auch soziale Argumente, die im Zusammenhang mit dem Schicksal von Menschen immer ernst genommen sein müssen, doch gibt es auch eine Verantwortung der Zukunft gegenüber, die heute schon mitgedacht werden sollte.
Es ist ja auch wirklich ernsthaft zu überdenken, ob ein eigener Chor und ein Ballett für jedes Opernhaus zum selbstverständlichen Standard gehören müssen. Aber dies hängt ja auch mit der prinzipellen Ausrichtung der Organisationsform zusammen. Jedenfalls wird es künftig sehr schwer sein, ein Ensembletheater in seiner nahezu unbeweglichen Struktur zu argumentieren. Es gibt ja jetzt schon Tendenzen zu etlichen Opernerlebnissen außerhalb des Tiroler Landestheaters, wenn ich an die Festung Kufstein denke oder an das Innsbrucker Kongresshaus, ganz zu schweigen von den Tiroler Festspielen in Erl. Aufgrund seiner schwerfälligen Betriebsform ist das Landestheater nicht in der Lage, hier entsprechend flexibel zu reagieren.
Es muss aber offensichtlich ein Mangel bestehen, wenn solche weitgehend nicht subventionierte Opernproduktionen auf privater Basis überleben können. Dies zeigt doch, dass es anders auch geht.
Jedenfalls kann man ganz allgemein von einem überaus subventionsfreundlichen Klima in Tirol sprechen. Es wird vieles und reichlich gefördert und es mag ein Zeichen von Fortschritt sein, wenn Musikdirektoren von heute in großzügigen Villen wohnen und einen Mercedes fahren, während ihre einstigen Kollegen als Hofkapellmeister vielfach am sprichwörtlichen Hungertuch genagt haben. Ich will damit ausdrücken, dass vor allem im Kulturbereich viel zu viel zu selbstverständlich geworden ist und private Initiativen finanzieller Art eher die Ausnahme bilden.
Ich frage mich mitunter, was es für manche Veranstalter und die Entwicklung neuer Ideen bedeuten könnte, wenn z. B. im Landestheater eine Opernproduktion weniger am Programm stünde, oder sich vielleicht eines der sog. Meisterkonzerte einsparen ließe. Solche und ähnliche Fragen sollten aber nicht privat bleiben.
Eine Frage ist auch, ob sich Tirol auf lange Sicht das jetzige Beamtenorchester wird halten können. Im medial noch mehr geprägten künftigen Zeitalter wird die Präsentation von großen Kunstwerken mit durchschnittlichen Musikern, geleitet von Dirigenten, die nicht gerade die Weltklasse repräsentieren, in dieser Form kaum eine Überlebenschance haben. Hier sollten jetzt schon neue Strategien zumindest angedacht werden, vielleicht eine Kombination von wirklichen Meisterkonzerten mit der Bildung eines Tiroler Barockorchesters.
Der Gedanke mit dem Barockorchester ist gar nicht so sehr aus der Welt gegriffen. Wir haben in Tirol eine Reihe ausgezeichneter Spezialisten für die Aufführungspraxis sog. Alter Musik, die auch international gefragt sind. Es bräuchte nur ein erfahrenen Orchesterleiter engagiert werden, der hier auch leben kann. Das setzt wiederum voraus, dass dieses Orchester auch genügend Auftrittsmöglichkeiten hat. Das Tiroler Barockorchester könnte zu einem Klangkörper von internationalem Rang heran- und zusammenwachsen, wenn man ihm hier z.B. einen eigenen Konzertzyklus gibt und auch im normalen Opernbetrieb Aufgaben zuweist. In einer Stadt, die sich gerne als Weltstadt der Alten Musik begreift, müsste es ohnehin selbstverständlicher Standard sein, dass eine Oper von Mozart oder Gluck ausschließlich im Originalklang des 18. Jahrhunderts aufgeführt wird.
Nun gibt es neben dem vielbeklagten Mangel auch das Füllhorn, das über manche findige Veranstalter ausgeschüttet wird. Es ist durchaus einsichtig, dass es beim Ergattern von Subventionen auch um einen gesunden Wettstreit geht und der entsprechende Umgang mit Politikern und Kulturbeamten zum Geschäft gehört. Ich frage Sie, ob Sie sich nicht manchmal zu sehr bedrängt fühlen, vor allem, wenn über diverse Medien nachgeholfen wird.
Ich glaube auch, dass manche der Veranstalter den Bogen, auch ihren Kollegen und gewissermaßen Schicksalsgenossen gegenüber, überspannen und unfair handeln. Ich denke dabei vor allem an den Innsbrucker Tanzsommer. Es ist hier sicher kein Neidkomplex wirksam, aber dieses kurzzeitige Festival von weitgehend übernommenen Produktionen erhält vom Innsbrucker Sommer einen Subventions-betrag von ATS 7.000,000,-- (Euro 508.710,--). Das sind öffentliche Gelder, und es mag weitgehend einsichtig sein, dass ein auf Vereinsbasis organisiertes Festival wie der Innsbrucker Sommer sich das leisten will und damit einen inhaltlichen Schwerpunkt setzt. Auch die Touristiker, die sich für den Tanzsommer stark machen, mögen ihre Gründe haben, und sie werden dies wohl in ihren Gremien zu argumentieren wissen. Nicht in Ordnung und unfair allen anderen Veranstaltern gegenüber ist jedoch, dass der komplette Beitrag des Landes Tirol für den Innsbrucker Sommer a priori in voller Höhe von ATS 2.500.000,-- (Euro 181.682,--) dem Innsbrucker Tanzsommer exklusiv zugeteilt ist. Finden Sie diese von Ihrem Vorgänger aus welchen Gründen auch immer initiierte Vergabepraxis für richtig?
Es ist ja wirklich die Frage zu stellen, warum dann noch ein Vertreter des Landes Tirol im Kuratorium des Vereins Innsbrucker Sommer Sitz und Stimme haben muss, wenn schon vorher bestimmt ist, dass die komplette Subvention einem einzigen Projekt zukommt. Ich denke, diese nun fast schon eingesessene Vergabepraxis entspricht keinesfalls der Ratio juris eines Kuratoriums, scheint auch politisch unklug und darum wohl auch schwer zu erklären. Die Kulturgelder des Landes sind doch vielmehr vor allem dazu da, jene zu stützen, die kulturell Hochwertiges leisten und es schwer haben, weil ihre Aktionen nicht populistisch und so vielfach auch der Zeit voraus sind oder für Projekte, bei denen eine Beziehung zu Tirols Kulturgeschichte unmittelbar gegeben ist.
Auch der Innsbrucker Tanzsommer legitimiert seine Existenz immer wieder durch die Publikation der Besucherzahlen. Bei den eindrucksvollen Dimensionen, die da angegeben werden, müsste es sich ausgehen, dass das Festival mit den Eintritten finanzierbar ist. Dazu kommen noch enorme Sponsorengelder. Ist dem Land Tirol eigentlich ein finanzielles Gesamtvolumen des Tanzsommers bekannt und hat sich jemals einer der Kulturbeamten dafür interessiert? Ich denke, dies müsste bei einer derartig hohen Exklusivzuwendung zu den selbstverständlichen Sorgfaltspflichten gehören.
Ich weiss, das Argument der Doppelfinanzierung steht im Raum, aber es gibt in Tirol viele Doppelfinanzierungen, wenn ich z.B nur an das ORF-Kulturhaus denke, wo in einem durch das Land Tirol nicht unwesentlich mitsubventiorten Kulturbetrieb vielfach auch Veranstaltungen von Subventionsempfängern stattfinden. Was im Zusammenhang mit der Subventionspraxis an den Innsbrucker Tanzsommer so erschreckend ist, ist, dass hier offensichtlich egoistisches Verhalten des Veranstalters noch durch Argumente seitens des Landes gestützt wird.
Nun gibt es in Tirol darüberhinaus noch eine nicht unwesentliche Anzahl von sagen wir Kulturmillionären. Was ist die eigentliche Intention des Landes, z.B. die Haller Galerie St. Barbara oder die Klangspuren in Schwaz mit so hohen Beträgen zu unterstützen?
Nun bieten diese Veranstalter, ich würde einmal sagen, nichts so Außergewöhnliches. Ich glaube kaum, dass es eine große Kunst ist, Ensembles mit fertigen Programmen einzukaufen und auf eine Bühne zu stellen. Ensembles und ihre Programme kann man kaufen wie eine Semmel beim Bäcker. Ist hier nicht die Überschätzung der kulturellen Leistung zu groß und dementsprechend der finanzielle Aufwand des Landes in keinem Verhältnis zum ideellen Gewinn?
Es besteht zudem die erkennbare Tendenz, dass diese hochdotierten und warum auch immer hochgelobten Veranstalter in ihrer Konkurrenzsituation sich mit vermeintlichen Highlights, die zumeist sehr kostspielig sind, zu übertrumpfen suchen. Allzu oft ist hier grenzenlose Gigantomanie im Spiel.
Ich weiss nicht, ob Sie die Taktik, Kultur hauptsächlich über die Medien und mit Plakatinszenierungen zu machen, geschmackvoll finden, zielführend ist sie jedoch anscheinend allemal, bei den enormen Mitteln, die damit von der öffentlichen Hand wie von privaten Sponsoren ergattert werden können. Ich denke, auch hier wäre vor allem von den Kulturbeamten mehr an kluger Beobachtungs- und Beurteilungsgabe gefordert.
Nun haben diese Aktionen, außer dass sie in Tirol stattfinden, zumeist nicht sehr viel mit Tirol zu tun, und es verwundert darum noch mehr, dass sie so hoch dotiert sind. Eine Passion von Bach z.B braucht zu ihrer Reputation keine Tiroler Veranstalter, zumal diese herrliche Musik für jeden kulturliebenden Tiroler vielerorts zugänglich ist. Ich meine das darum so pointiert, weil die Austauschbarkeit nahezu aller dieser vielgepriesenen Aktivitäten gar zu wenig bedacht wird. Die meisten Veranstalter bringen Übernahmen, wobei die Agenturen mit den Künstlern auch fertige Programmkonzepte anbieten und der Veranstalter nur noch für geschickte Werbung, einen Auftrittsort und für die Unterkunft sorgen muss. In nicht seltenen Fällen laufen diese Konzepte in Form von Tourneen, noch dazu im Kreis.
Ich habe dieses Szenario nicht erfunden, aber es ist die gängige und leider vom Land Tirol auch vielfach hochdotierte Praxis bei zahlreichen Kulturveranstaltungen. Hier sollte wirklich ein schärferer Blick hinter die Kulissen erfolgen, der nicht allein den Kulturhistorikern kommender Generationen überlassen werden sollte.
Es ist vielleicht immer noch zuwenig bekannt, dass Tirol eine teilweise weltberühmte Musikgeschichte aufzuweisen hat. Es erstaunt nicht, dass man im Ausland vielfach mehr davon zur Kenntnis nimmt, als im eigenen Land. Tirol hat Musikgenies wie Oswald von Wolkenstein und Jakob Stainer hervorgebracht, und die Tiroler Habsburgerfürsten leisteten sich beste Musiker ihrer Zeit. In der Hofkapelle Kaiser Maximilians I. waren mit Heinrich Isaak, Ludwig Senfl und Paul Hofhaimer - heute würden wir sagen die Weltstars ihrer Zeit - in Innsbruck tätig und auch die Hofkapellen Erzherzog Ferdinands von Tirol und Erzherzog Ferdinand Karls waren mit Spitzenmusikern aus aller Herren Länder besetzt. Verlangt diese für ein kleines Land so überreiche Musiktradition nicht auch die Übernahme einer besonderen Verantwortung in der Gegenwart?
Tirol ist kulturell ein überaus großzügig beschenktes Land und hat weitgehend seine sichtbaren Kulturgüter, wie Baudenkmäler und zahlreiche Objekte der bildenden Kunst vielfach in geradezu vorbildliche Obsorge genommen. Eine Reihe teilweise auch hochdotierter Institutionen kümmert sich darum. Ist Tiroler Musik nicht denkmalwürdig?
Dass das imaginäre Phänomen Musik natürlich ein emminentes Kulturdenkmal ist, ist schwerer begreiflich zu machen wie bei den im wahrsten Sinne nahezu allgegenwärtig in die Augen fallenden Objekten der bildenden Kunst. Dennoch hat die moderne Technik es ermöglicht, auch Musik in Form von CDs und via Internet diesen Status einer dauerhaften Präsenz zu geben. Mehr noch hat die Musik mit diesen Medien alles Statische überholen können und im Prinzip eine Omnipräsenz erreicht. Wird das Land Tirol dieses neue Faktum zur Kenntnis nehmen können und der Denkmalpflege der Musik einen ähnlichen Rang einräumen wie der bisher aktuellen Denkmalpflege der Kulturgüter unter weitgehendem Ausschluss der lokalen Musiktraditionen?
Nun hat Tirol auf dem Gebiet der Dokumentation schon jetzt weltweit eine Pionierstellung erreicht. Es sind z.B. in konsequenter Arbeit in den letzten Jahren über 100 CDs zur Tiroler Musikgeschichte entstanden, eine Tatsache, die immer mehr auch überregional bewundert wird und völlig ohne Vergleich dasteht.
Nun wäre diese Tat ohne die finanzielle Beteiligung des Landes Tirols nicht in diesem Umfang und in dieser engagierten Konsequenz möglich gewesen. Ich habe es aber immer bedauert, dass diese großartige Dokumentation und Pflege der eigenen Musikvergangenheit dem Land Tirol nie so wichtig geworden ist, dass sie durch ein ordentliches und gut dotiertes Budget abgesichert worden wären, sondern dass vieles schicksalshaft von günstigen Zufällen und auch vom Stimmungsbarometer diverser Kulturbeamter abhängig war. Sie werden vielleicht entgegen halten, dass dennoch viel zustandegekommen ist. Das ist richtig, aber eigentlich ist es unter diesen Voraussetzungen ein Wunder.
Hier ist schon der Vergleich mit einer Familie angebracht und man darf die Tiroler Musiktradition wohl als legitimes Kind Tirols betrachten. Wenn man sich aber umschaut und Vergleiche in der Subventionspraxis des Landes anstellt, so muss man doch eindeutig zur Kenntnis nehmen, dass die angenommenen Kinder ohne Zweifel einen Vorzug haben. Denken Sie nicht, dass die Präsentation und Dokumentation der eigenen Musiktradition dem Land Tirol finanziell zumindest soviel bedeuten müsste, wie es z.B. den Festspielen in Erl an Subventionen zuweist?
Es ist ja noch dazu offensichtlich, dass hier kein Risiko eingegangen wird, denn alle diese Aktivitäten sind durch die CDs von überprüfbarer Qualität und haben der Musik Tirols in der Welt erst eine Stimme gegeben. Dieses Faktum ist viel zu wenig gegenwärtig und auch der Umstand, dass den Subventionen nicht nur ein großer ideeller, sondern auch ein enormer materialler Wertgewinn für das Land Tirol gegenübersteht, während sonst doch subventionierte Konzerte zumeist im Hall des Raums verklingen.
Es mag hier der Eindruck entstehen, dass ich als vielfach tätiger Veranstalter und Organisator von Musikaktivitäten vorwiegend tirolischer Provenienz nur in eigener Sache argumentiere, aber dazu ist festzustellen, dass die bedeutende Musiktradition Tirols a priori niemals Privatsache sein kann, sondern ein eminentes öffentliches Anliegen in Tirol und darüberhinaus darstellen muss. Es ist vielmehr umgekehrt nicht alltäglich, dass sich Menschen, oft auch in Form von Privatinitiativen, mit solcher Energie dieser großen Verantwortung stellen. Ich sage das darum, weil mir von Kulturbeamten mitunter der eher bescheidene Subventionsbeitrag des Landes für Tätigkeiten, die eigentlich im fundamentalsten Interesse einer Tiroler Kulturpolitik verankert sein müssten, vorgehalten wird.
Der Subventionsbeitrag ist wirklich bescheiden im Vergleich und ohne Vergleich. Es ist ein trauriges Faktum, dass nach all den vielfach international und auch von unserem Publikum anerkannten Erfolgen es immer noch nicht möglich ist - auch heuer im Jahr 2002 nicht - die Konzertsaison verantwortungsvoll zu planen. Man muss sich anbetracht des Gesagten vorstellen, dass für die heurige Konzertsaison noch keine Zusagen auf unsere Ansuchen eingelangt sind und es darum wieder nicht möglich ist, zeitgerecht ein wiederum innovatives Konzertprogramm mit ausschließlich Musik aus Tirols großer Musiktradition zu besetzen. Eine Konzertprojekt mit CD-Dokumenation setzt natürlich bestqualifizierte Mitwirkende voraus. In Tokio oder New York fragt niemand, unter welchen Umständen diese CD mit Tiroler Musik zustande gekommen ist, sondern die Entscheidung ist nur, ob die Produktion gut oder schlecht ist. Verantwortungsvolle Planung ist aber nur möglich, wenn man den sicheren finanziellen Rückhalt hat. Ich habe so manchen Ihrer Kulturbeamten wiederholt gefragt, warum es im eigenen Land so schwer sein muss, eine, wie wir schon vielfach zeigen konnten, überaus bedeutende Musiktradition in völlig neuer und attraktiver Form der Präsentation und Dokumentation in Tirol und durch die CDs auch in aller Welt bekannt zu machen. Ich denke schon, dass Sie mit mir einer Meinung sind, dass hier ein großer Handlungsbedarf besteht und dass die Tiroler Musik, wo denn sonst als in Tirol, einen ihrer großen Tradition und Qualität gemäßen Vorzug haben sollte.