Innsbruck war als Residenzstadt der Tiroler Habsburgerfürsten auch das kulturelle Zentrum des Landes. Vor allem die Musikpflege erreichte zeitweise ein Niveau von herausragender Bedeutung. Kaiser Maximilian, der Innsbruck und die Musik besonders liebte, hatte in seiner Innsbrucker Hofkapelle die bedeutendsten Musiker der damaligen Zeit vereint, und auch Erzherzog Ferdinand II. von Tirol, der Schloss Ambras für seine bürgerliche Gemahlin prachtvoll umgestalten und ausstatten ließ, suchte beste Musiker aus aller Herren Länder für seinem Innsbrucker Hofstaat zu gewinnen, die dann für eine Vielzahl offizieller Anlässe wie auch für private Vergnügungen allzeit zur Verfügung standen. Eine kulturelle Glanzzeit erlebte Innsbruck während der Regierung des geradezu musikbesessenen Landesfürsten Erzherzog Ferdinand Karl. Unter seiner zwar finanziell aufwendigen Regentschaft, die aber viele Werke von bleibender Bedeutung hinterließ, entstand in Innsbruck das erste Opernhaus außerhalb Italiens mit großzügigster Ausstattung und neuestem technischen Raffinement. Welch ein einzigartiges und unwiederbringliches kulturelles Flair dem damaligen Innsbruck geschenkt war, mag man auch in dem Umstand ermessen, dass hier über mehr als ein Jahrzehnt Pietro (Antonio) Cesti, der berühmteste Opernkomponist seiner Zeit, wirkte und nach dem Tod des Landesfürsten nur unwillig dem Ruf des Kaisers nach Wien folgte.
Ihren letzten Höhepunkt erreichte die Musikpflege in Innsbruck im frühen 18. Jahrhundert, als wiederum ein ungemein kunstsinnniger Fürst die Regentschaft in Tirol übernahm, nach dem Aussterben der tirolischen Linie der Habsburger jetzt allerdings als Statthalter des Kaisers. Im Jahr 1707 hielt Herzog Karl Philipp von der Pfalz-Neuburg, der vorher in Schlesien residiert hatte, seinen feierlichen Einzug in Innsbruck. In seiner Begleitung befand sich ein kleines, aus Instrumentalisten bestehendes Hausorchester, das der musikbegeisterte Fürst in Innsbruck zu einer stattlichen, bald auch überregional vielbewunderten Kapelle ausbauen ließ. Gelegenheit zu musikalischer Produktion und Perfektion gab es vielfach, zumal der Herzog fast täglich große Gesellschaften in der Innsbrucker Hofburg versammelte, wobei musikalische Darbietungen im Mittelpunkt standen. Nicht nur die eigene Musikleidenschaft des neuen Landesherrn prägte das großzügige kulturelle Ambiente des Innsbrucker Hofes, sondern vor allem auch jene der nächsten Angehörigen des Fürsten. Seine Gemahlin Theresa wurde als eine vorzügliche Sängerin gerühmt, die sich bei zahlreichen Hoffesten öffentlich hören ließ. Die Chronik berichtet, dass die Fürstin anlässlich des Besuchs von Kaiser Karl VI. im Jahr 1711 in Innsbruck mit dem Monarchen gemeinsam öffentlich musizierte, wobei sie der Kaiser am Klavier begleitete. Die Tochter des Fürstenpaars Elisabetha Augusta avancierte überhaupt zum Stern des Hofhalts, indem sie bei vielerlei Gelegenheit mit viel Grazie sang und sich dabei selbst mit Vollendung am Klavier begleitete. Die Prinzessin veranstaltete auch sog. Nachmittagsmusiken, zu denen nur die auserlesenen Mitglieder der Innsbrucker Hofmusik herangezogen wurden.
Gottfried Finger war 1707 im Gefolge seines Herrn nach Innsbruck gekommen. Er stammte aus Ölmütz in Mähren. Ölmütz war die Rezidenz eines Fürstbischofs, der eine ansehnliche Musikkapelle unterhielt. Hier dürfte Finger, der bald als Claviervirtuose gerühmt wurde, seine erste musikalische Ausbildung und Förderung erhalten haben. Voll von jugendlichem Enthusiasmus ging er bald darauf nach England, wo er am Hof König Jakobs II. als Musicus aufgenommen wurde. 1688, im Todesjahr des Monarchen, erschien in London und noch im selben Jahr in Amsterdam Fingers großartiges Opus 1 mit zwölf Sonaten, die er seinem Dienstherrn König Jakob widmete. (Ersteinspielung im Rahmen der Sommerkonzerte des Ferdinandeums 2000/CD-Produktion Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 14). Als besondere Auszeichnung und Anerkennung mag der Umstand angesehen werden, dass sich der Herrscher zusammen mit dem Komponisten auf dem Titelblatt des Londoner Erstdrucks abbilden ließ. Vermutlich aufgrund der besonderen Wertschätzung des Königs hatte sich Finger zahlreiche Neider geschaffen, die nach dem Tod seines Gönners in vielfacher Weise gegen ihn wirkten. So verließ Finger bald darauf den englischen Hof, dem er zahlreiche Kompositionen verehrt hatte, vor allem Opern und sonstige Vokalkompositionen, die heute leider überwiegend verschollen sind. Trotz dieses schicksalsbedingten Einschnitts in seine bis dahin bemerkenswerte Musikerkarriere, hat sich auch sein weiterer Weg als Künstler durchaus erfolgreich gestaltet. Es war ihm bestimmt, seine beachtliche Kunst wiederum in den Dienst eines feinsinnigen Fürsten zu stellen, dessen Hofstaat er fortan angehörte. Auch als Karl Philipp nach dem Tod seines Bruders Regent der pfälzischen Erblande wurde und 1717 Innsbruck verließ, folgte ihm Gottfried Finger mit dem Hoforchester nach Mannheim. Dieses Innsbrucker Orchester mit vielen Tiroler Musikern bildete so den Grundstock jenes Mannheimer Orchesters, das etwas später unter Johann Stamitz und seinen Nachfolgern internationalen Ruhm gewann und die stilistische Voraussetzung für die unvergängliche Musik Haynds und Mozarts schuf.
Gottfried Finger war Konzertmeister und Musikdirektor der Innsbrucker Hofmusik von 1707 bis 1717. In diesem Zeitraum hat er naturgemäß aufgrund seiner Stellung das Innsbrucker Musikleben maßgeblich mitbestimmt. Seine erhaltenen Instrumentalkompositionen erweisen ihn als einen durchaus einfallsreichen, gefühlvollen Musiker, dessen Werke vor allem melodische Eleganz auszeichnet. Kontrapunktisches Raffinement, das er natürlich als einer der gepriesenen Komponisten seiner Zeit mit Bravour meistert, ist bei ihm dennoch nicht mehr der alles dominierende Gradmesser seiner Meisterschaft. Fingers Musik ist jedoch durchwegs von affirmativem Charakter und so im besten Sinne attraktiv.
Manfred Schneider