Musikland Tirol

Johann Stadlmayr (um 1575-1648) ist eine der bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten in Tirols hervorragender Musikgeschichte. Er war ab 1607 über vier Jahrzehnte in Innsbruck als Hofkapellmeister tätig, versah diesen Dienst unter vier Tiroler Landesfürsten und vermochte natürlich durch diese lange Ausübung seiner renommierten Position das Musikleben Tirols entscheidend zu prägen. Stadlmayr war schon zu seinen Lebzeiten eine auch überregional beachtete und anerkannte Musikerautorität. Der nachmals berühmte Komponist Abraham Megerle (1607-1680), der das angesehene Amt des Konstanzer Domkapellmeisters bekleidete, würdigte Stadlmayrs Werk als "aller Componisten ewige Zier und Ehr". Noch mehr ins Gewicht fällt wohl das Urteil von Michael Praetorius (1571-1621), einem bis heute autoritativen Musiktheoretiker und Komponisten, der in Stadlmayr einen "trefflichen Contrapunctisten und Musicus" sah. Auch wiederholte Angebote "anderer Herren" an Stadlmayr, in ihren Dienst zu treten, zeugen von seinem außergewöhnlichen Renommee. 1609 wollte ihn der Münchner Hof als Kapellmeister gewinnen, 1623 zum Beispiel stand die Stellung als Domkapellmeister in Wien zur Diskussion. Stadlmayr blieb jedoch in Innsbruck, wo er von seinen Dienstherren überaus geschätzt war und sich zudem eine ganz hervorragende, mit besten Musikern besetzte Hofkapelle befand, die seinem großartigen Talent nur nützen konnte. Um ihn an Innsbruck zu binden, schenkte ihm Erzherzog Maximilian von Tirol, der ihn nach Innsbruck geholt hatte, ein stattliches Haus. Ebenso ließ der Nachfolger Maximilians, Erzherzog Leopold, wohl in gleicher Absicht Stadlmayr ein Anwesen, heute Maria-Theresien-Straße 28, zukommen. Eine Erhebung in den Adelsstand lehnte Stadlmayr allerdings ab. Er mag wohl sein Künstlerdasein und seine nicht alltägliche Begabung als Auszeichnung des Schicksals empfunden haben, die er über den Adel stellte, obwohl ihm diese Verleihung sicherlich viele Vorteile gebracht hätte.

Stadlmayrs Werk erweist sich auch aus heutiger Sicht dieser hohen Einschätzung durchaus wert. Zwar sind seine Kompositionen nahezu verklungen und eine akustische Begegnung mit seinem Werk eine absolute Rarität. Dieser Umstand ist nicht aus einer mangelnden Qualität seiner Musik zu folgern, sondern gründet sich auf andere Tatsachen: Zum einen ist sein Werk, weit verstreut, nahezu ausschließlich in historischen Drucken erhalten, zum anderen verlangen seine zumeist groß besetzten Werke einen beträchtlichen Aufwand, der zwar der Struktur und dem Luxus der damaligen Musikpraxis entsprach, aber die heutigen Gegebenheiten vielfach zu überfordern scheint. Ferner gibt es bis jetzt keine einzige zeitgenössische Denkmalausgabe in moderner Notation.

Die Musiksammlung des Ferdinandeums hat es seit einiger Zeit unternommen, konsequent das Werk Stadlmayrs zu sammeln und in moderner Notation wieder zugänglich zu machen. Von Stadlmayr sind 21 Opera im Druck erschienen, davon allein in Innsbruck 14 umfangreiche Sammlungen. Entsprechend seiner überregionalen Bedeutung sind Werke Stadlmayrs auch in Wien, München, Augsburg und Antwerpen erschienen. Zur damaligen Zeit wurden die Kompositionen in Form von Stimmbüchern gedruckt. Jede Stimme, wie zum Beispiel Sopran, Bass, Violine oder Posaune, verfügte zum Spielen über ein eigenes Buch. Alle Stimmbücher zusammen bildeten das vollständige Werk, so dass zum Beispiel eine zwölfstimmige Messe aus zwölf einzelnen solcher Bücher bestand. Partituren waren noch unbekannt. In Innsbruck ist das Werk Stadlmayrs nahezu vollständig verloren gegangen. Glücklicherweise haben sich seine Kompositionen aber außerhalb Tirols fast zur Gänze erhalten, so in Klöstern, Stadt-, Staats- und Universitätsbibliotheken vieler Länder Europas. Teilweise finden sich dort die Werke geschlossen mit allen Stimmbüchern, teilweise sind die Stimmbücher fragmentarisch über mehrere Fundorte verteilt, so dass das komplette Werk erst recherchiert und wieder zusammengestellt werden musste.

Jedenfalls befindet sich das Werk Stadlmayrs nunmehr nahezu vollständig in Form von Kopien der historischen Drucke in der Musiksammlung des Ferdinandeums. Es ist zudem bereits größtenteils in moderne Notenschrift transferiert worden und dient damit als Grundlage für Konzertprojekte und als Quelle für die Musikforschung.

Stadlmayrs lange Wirkungszeit als Komponist hat sich naturgemäß auf den Stil seiner Musik ausgewirkt. Er war als Innsbrucker Hofkapellmeister nahezu ausschließlich für die Kirchenmusik zuständig und wurde einer der führenden Vertreter der "musica sacra" außerhalb Italiens. Ausgehend von dem noch in seiner Jugendzeit als Kapellmeister des Fürstbischofs in Salzburg vorherrschenden Stil polyphoner Satzkunst hat er den Wandel zum neuen Stil der Monodie und Prachtentfaltung mehrchöriger konzertierender Kirchenmusik weitgehend organisch und auf der Höhe seiner Zeit vollzogen. Stadlmayr gehört im Bereich der eher konservativ orientierten Kirchenmusik gewiss zu den fortschrittlichen Komponisten und zu einem der Wegbereiter und besten Vertreter des modernen Stils. Neu an dieser Form der Kirchenmusik war besonders ein erkennbares Maß an Emanzipation des individuellen Ausdrucks. Diese neue Einstellung zeigte sich vor allem im solistischen Hervortreten der Singstimmen und in einer wesentlich freieren Behandlung der Musikinstrumente, deren Verwendung von ihrer untergeordnet dienenden Funktion zu einem fundamentalen Bestandteil der Klangstruktur der Komposition gewandelt wurde. Zuvor erklangen die Instrumente zumeist lediglich "colla parte", das heisst gleich mit den Singstimmen, weitgehend ohne musikalische Eigenbedeutung, allein zur Verstärkung und Stützung der Singstimmen. Stadlmayr hat den neuen Weg bereits in seinen 1616 zu Wien gedruckten, großangelegten dreichörigen Messen beschritten, wenn auch nur ansatzhaft und zögernd.

Vollends zum Ausdruck und mit Souveränität behandelt kommt der neue Stil erstmals in der 1631 zu Innsbruck gedruckten Sammlung der fünf "Missae concertatae" zur Geltung, deren beachtlichstes Werk, die zwölfstimmige "Missa super bone Jesu", bei diesem Konzert erstmals seit ihrer Enstehungszeit wieder aufgeführt wird. Das Instrumentarium mit zwei Zinken, die mit Violinen alternieren, ferner mit vier Posaunen, ist in einem eigenen Chor zusammengefasst. Dieser wird im Verhältnis zu den beiden Chören der Singstimmen nahezu gleichberechtigt behandelt. Die Singstimmen sind in zwei je sechsstimmige Chöre geteilt. Der erste Vokalchor trägt gewissermaßen die musikalische Substanz, mit vielfach konzertierenden Elementen, intendierter solistischer Besetzung und aufgelockerter Setzweise. Der zweite Chor dient ausschließlich der Klangverstärkung, insbesondere, wenn eine folgerichtige Interpretation des Textgehalts es nahelegt. Die "Missae concertatae" aus dem Jahr 1631 sind noch unter der Regierungszeit Erzherzog Leopolds erschienen und haben sich glücklicherweise im Musikarchiv des Stiftes Kremsmünster vollständig erhalten. Nach dem Tod Leopolds folgte als Landesfürstin seine Witwe Erzherzogin Claudia, die die Regentschaft in Tirol von 1632 bis 1646 für ihren noch minderjährigen Sohn Ferdinand Karl innehatte. Die neue Landesfürstin war der Musik überaus gewogen. Obwohl sie den unter der Herrschaft ihres Gatten weitgehend aus den Fugen geratenen Hofstaat durch umfassende Einsparungen reduzieren musste, war Stadlmayr in der Lage, den Hauptteil seines Lebenswerks in Innsbruck mit großer finanzieller Hilfe der Landesherrin herauszubringen. Wie sehr Claudia ihren Hofkapellmeister schätzte, kann man daran ermessen, dass allein im Zeitraum von sechs Jahren acht umfassende Sammeldrucke Stadlmayrs mit ihrer Unterstützung in den Innsbrucker Werkstätten des Hofbuchdruckers Michael Wagner publiziert wurden.

Ein Jahr vor dem Tode der mächtigen und großzügigen Gönnerin gelang es Stadlmayr noch, sein beeindruckendstes und wohl auch bedeutendstes Werk in Innsbruck zu veröffentlichen. Es ist dies der herrliche Druck aus dem Jahr 1645 mit dem Titel "Apparatus musicus sacrarum cantionum concertantium", ein absolutes Meisterwerk und in seiner inhaltlichen und besetzungstechnischen Vielschichtigkeit ein wahrhaft beeindruckendes Abbild sowohl des umfassenden Repertoires als auch des überragenden musikalischen Vermögens der damaligen Innsbrucker Hofkapelle. Die einzigartige Sammlung enthält 50 Nummern, überwiegend groß besetzte Motetten neben Instrumentalstücken, die zur Praxis damaliger Kirchenmusik gehörten, wie "Canzonae" oder "Sonatae" in abwechslungsreicher Besetzung. Das Instrumentarium umfasst Zinken, Blockflöten, Geigen, Gamben, Trompeten, Posaunen, Dulziane, kurz die ganze Fülle damaliger Klangwelten. Aber nicht nur die äußerliche Klangpracht macht dieses Werk zu einem eminenten Denkmal der Tiroler Musikgeschichte, sondern vor allem die frappante Meisterschaft ihres Schöpfers, das großartige Können, die Beherrschung aller Facetten musikalischen Handwerks, die kunstvolle, vielfach idealtypische Verknüpfung des Instrumentariums mit den Singstimmen, ganz allgemein die erkennbare Vollendung im Stil Stadlmayrs, der in dieser einzigartigen Sammlung kulminiert. Von den 24 Stimmbüchern, die für eine vollständige Realisation des "Apparatus musicus" erforderlich sind, hat sich der Großteil in der Musiksammlung der Bayerischen Staatsbibliothek München erhalten. Eines der fehlenden Stimmbücher konnte Manfred Schneider in der Bibliothek des Klosters Marienberg im Vinschgau entdecken. Zwei Stimmbücher sind bisher noch verschollen. Da diese beiden Stimmen nicht die unersetzliche Grundsubstanz in der Erfindung der Komposition betreffen, sondern nur untergeordnete Füllfunktionen haben, konnte sie Christian Thomas Leitmeier (München) sachkundig und einfühlsam aus der Struktur der Komposition rekonstruierend ergänzen. Thomas Engel (Innsbruck) erstellte anhand der historischen Stimmbücher das Aufführungsmaterial in moderner Notation einschließlich der Partitur.

Johann Stadlmayr stammt aus der Umgebung von Freising, möglicherweise auch aus der Bischofsstadt selbst. In jungen Jahren kam er 1603 nach Salzburg zur Hofkapelle des Fürsterzbischofs, wo er bald bis zur höchsten Stellung des Kapellmeisters aufstieg. Im Jahr 1607 wurde Stadlmayr nach Innsbruck berufen und verblieb hier bis zu seinem Tod im Jahr 1648.

Stadlmayrs bedeutsames Schaffen ist ein großartiges Denkmal der Musikgeschichte und erfordert darum auch verantwortungsvollen Umgang und Beachtung. Wir sind dankbar, dass es in Zusammenwirken mit der SKWB Schoellerbank gelingen konnte, Stadlmayrs Werk wiederum markant in Erinnerung zu rufen. Anlässlich des 350. Todestages Stadlmayrs haben wir 1998 in Zusammenwirken mit der Bank eine bemerkenswerte CD-Produktion mit Sakralwerken realisieren können. Auch die mit finanzieller Unterstützung der SKWB Schoellerbank vom Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum veranstalteten "Tiroler Weihnachtskonzerte" 1999 und 2001 waren schwerpunktmäßig Kompositionen Stadlmayrs gewidmet (CDs "Klingende Kostbarkeiten aus Tirol" 6, 12 und 24 des Instituts für Tiroler Musikforschung Innsbruck).

Mit diesem Konzert in der glanzvollen Basilika von Stift Stams wird es vor allem durch das Sponsoring der SKWB Schoellerbank erneut möglich, dass Werke dieses herausragenden Meisters aus ihrer Vergessenheit befreit und prachtvoll erklingen können. Mittels der dabei entstehenden CD-Produktion wird ein weiteres dauerhaftes Denkmal von Stadlmayrs großer Kunst geschaffen, die damit auch vielseitig verfügbar bleibt.

Manfred Schneider

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